28 oktober 2012

Alfhild Agrell und die Situation der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Alfhild Agrell, geborene Martin, wurde am 13. Januar 1849 als Tochter des Konditors Martin und Karolina Adolphson in Härnösand geboren und starb am 8. November 1923 in Flen. Von 1868 bis 1895 war sie mit dem Großhändler Albert Agrell verheiratet mit dem sie dann nach Sundsvall zog. Die Ehe mit dem zehn Jahre älteren Agrell gilt als von den Eltern arrangiert.

Der literarische Durchbruch kam für Alfhild Agnell, die mit zur Gruppe der schwedischen Autorinnen gehört, die die Frauenliteratur in den den Jahren 1880 in Schweden salonfähig machte, jedoch erst über zehn Jahre nach der Ehe, als das Paar von Sundsvall nach Stockholm zog, literarisch an die Öffentlichkeit trat.


Der erste große Erfolg für Alfhild Agnell kam mit ihrem Drama Räddad, das als Antwort auf Henrik Ibsens Ett dockhem (Ein Puppenheim), allerdings extrem pessimistisch in ihrer Beschreibung der Situation der Frau dieser Epoche, wobei die Autorin dabei das Thema der Selbstverwirklichung der Frau in der Ehe hat. Wie so viele andere Frauen der Epoche schrieb sie dieses Drama unter einem Pseudonym für das sie Thyra wählte. Später wandte sie dann häufig den Namen Lovisa Petterqvist an, um erst Jahre später ihren tatsächlichen Namen zu verwenden.

Mit ihren nächsten beiden Dramen Dömd aus dem Jahr 1884 und Ensam, das zwei Jahre später erschien, wollte sie auf die Situation von allein erziehenden Müttern aufmerksam machen, nahm jedoch als Hauptthema die Doppelmoral der schwedischen Gesellschaft mit der Forderung, dass ein Mann, der ein Kind macht ohne die Frau zu heiraten von der Gesellschaft gleichermaßen ausgestoßen werden muss wie die allein erziehende Mutter, ein Thema, das am Ende des 19. Jahrhunderts als absolutes Tabuthema betrachtet wurde.

Alfhild Agnells Problem in der literarischen Welt der 80er und der 90er Jahre war nicht nur, dass sie eine Frau war und damit eine schwierige Position in einer Männerwelt einnahm, sondern auch, dass die Theaterwelt über gesellschaftliche Themen in Schweden von August Strindberg und Henrik Ibsen dominiert wurden und Frauenthemen oft als nicht relevant betrachtet wurden. Selbst wenn Alhild Agnell als Frau jener Zeit einen sehr beachtlichen Erfolg hatte, so wurden ihre Stücke weitaus seltener von Theatern aufgenommen als jene August Strindbergs, der mit seinen Werten die Bühnen Schwedens für sich beanspruchte.

Nahezu unbemerkt blieb daher auch, dass Alfhild Agnell sehr viele humoristische Einschläge in der Tagespresse schrieb, Novellen und Reiseschilderungen über Nordschweden veröffentlichte  und 1904 den Roman Guds drömmare erschien, ein Meisterwerk der schwedischen Literatur, das mit den Büchern Selma Lagerlöfs verglichen werden kann.

In Guds drömmare wird der Leser mit der Suche nach einem Glauben an Gott konfrontiert, das sich jenseits des kirchlichen Dogmas befindet, wo Gott jede Glaubensrichtung akzeptiert.

Auch wenn man man versucht Alfhild Agrell eine Rolle in der Frauenbewegung Schwedens zu geben, so war ihr Ziel weniger ein Kampf für die Rechte der Frau, sondern vielmehr die Darstellung des damaligen Gesellschaftssystems in dem eine Frau im Grunde keinen Platz hatte, außer als Ehefrau Kinder zu gebären und zu erziehen.

Jedes Drame der Autorin stellt ein System in Frage in dem die Frau kein Recht hat zu wählen, keine Handlung ohne Genehmigung ihres Ehemanns ausführen darf, Sexualität nur eine eheliche Pflicht ist und eine Frau, die unehelich ein Kind bekommt, eine Schande darstellt. Alfhild Agrell schreibt ihre Werke nicht für Frauen, die diese Probleme kennen, sondern für Männer, die sich dafür einsetzen den Frauen dabei zu helfen, dass sie eine Existenzberechtigung in der Gesellschaft bekommen. Der Schriftstellerin ist vollkommen bewusst, dass das Frauenproblem zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht von den Frauen allein gelöst werden kann, sondern fortschrittliche Männer eingreifen müssen.

Dass Alfhild Agrell auch zu ihrer Zeit nicht die Bekanntheit errang, die ihr im Grunde zustand, lag natürlich auch daran, dass sie zu den verschiedensten Pseudonymen greifen musste um ihr Publikum zu erreichen. Ihre Reisebeschreibung Nordanifrån veröffentlichte sie, zum Beispiel, unter dem männlichen Namen Stig Stigson, so dass viele ihrere Leser nie erfuhren, dass es sich auch bei diesem Werk um Alfhild Agrell handelte. Die gleiche Situation entstand bei den Büchern Hemma i Jokkmokk, En skildring ur småstadslifvet oder I Stockholm. Också en resebeskrifning, den am häufigsten von ihr verkauften Büchern, die alle nicht ihren wirklichen Namen auf dem Titel stehen hatten.

Copyright: Herbert Kårlin

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