30 april 2013

Harald Johnsson, der Schriftsteller des Normalbürgers

Harald Johnsson wurde am 22. Juli 1886 als Sohn des Fabrikanten Olof Johnsson und dessen Frau Bengta Andersdotter in Östra Göinge in Skåne geboren und starb am 30. April 1936 in Stockholm. Johnsson war ab 1913 mit der Schriftstellerin Karin Johansson verheiratet.

Da sich bisher nur wenige Literaturwissenschaftler mit Harald Johnsson beschäftigt haben, ist über seine Kindheit und seine Jugend kaum etwas bekannt. Johnsson legte seine Hochschulreife im Jahre 1904 in Kristianstad ab und studierte anschließend von 1904 bis 1908 an der Universität Lund. Ab 1906 arbeitet er am Studentenkalender Nya Dagar mit, wobei die Gedichte und anderen kurzen Beiträge später auch als sein erstes Buch veröffentlicht werden.

Harald Johnsson, Svenska Stormän, Svenska Läratidnings förlag, 1935

Nach seinem Studium arbeitete Harald Johnsson  erst einige Jahre lang beim Lunds Dagblad, wechselte dann jedoch im Jahre 1910 mit seinem Umzug nach Stockholm zum Buchverlag Åhlen och Åkerlund bei dem er als literarischer Ratgeber arbeitete.

Während seines Studiums in Lund und die Zeit in der Harald Johnsson bei  Åhlen och Åkerlund beschäftigt war, entstand unter seiner Feder vor allem Lyrik, die starke Einflüsse von Vilhelm Ekelund, Ola Hansson und Anders Österling zeigen, auch wenn man in einem Teil seiner Lyrik persönliche Züge findet. Bevor sich der Autor jedoch in der Dichtung gefunden hat, gibt er die Lyrik auf, was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass er kaum in literarischen Kreisen verkehrt und daher wenig Ansporn erhält.

Als Harald Johnsson 1913 als literarischer Ratgeber zum Verlag Dahlberg wechselt, wechselt der Autor auch seine literarische Richtung und beginnt Kriminalromane zu schreiben, die er unter dem Pseudonym Robinson Wilkins veröffentlicht. Ein Teil dieser Romane erscheint in Heftform, einige wenige in Buchform, die jedoch, obwohl sie Schnellprodukte waren, von einer verblüffenden Logik der Handlungen zeugen. Auch wenn der literarische Wert dieser Kriminalromane bis heute angezweifelt wird, lag Johnsson im Zeitstrom, denn er verkaufte über eine halbe Million Exemplare und jedes der Werke wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Seine beiden Hauptfiguren Fred Hellington und Carl Alexander Jönsson wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschätzte und allgemein bekannte Figuren.

Nach wenigen Jahren verließ jedoch Harald Johnsson auch die Welt der Kriminalromane wieder und er schrieb unter verschiedensten Pseudonymen Abenteuergeschichten, Liebesromane sowie Sagen und Kinderbücher, die beim Publikum sehr gut ankamen, aber von Kritikern unbeachtet blieben, da Unterhaltungsliteratur und einfachere Belletristik um diese Zeit nicht zur ehrenhaften Arbeit eines Schriftstellers gehörten.

In der letzten Phase seines Schaffens veröffentlichte Harald Johnsson vor allem historische „Räubergeschichten aus Skåne“ und populärwissenschaftliche, geschichtliche Romane und Biographien, die dem Leser die Vergangenheit Schwedens öffneten. Auch hier hatte er beim Publikum einen großen Erfolg, da das geschichtliche Interesse eine breite Leserschicht ansprach, aber nur die wenigsten unter ihnen die wissenschaftlichen Werke lesen konnten, sie sich aber auch nicht leisten konnten. Johnsson ließ gerade für diese Schicht die schwedische Vergangenheit von Ansgar und der Heiligen Birgitta bis zu Anführern von Aufständischen wieder auferstehen, eine Leistung, die jedoch von der etablierten literarischen Schicht kaum geschätzt wurde. Seine Leserschicht erstreckte sich dagegen von Jugendlichen bis zum höchsten Alter, da Johnsson es verstand Geschichte mit einfachen Worten zum Leben zu erwecken.

Harald Johnsson war mit seiner Prosa ein Schriftsteller der Alltagswelt, denn er schrieb über das Leben als Soldat, die Probleme der kleinen Leute, über Alkoholiker und Kleinkriminalität, die die Armut und die Unterdrückung mit sich bringen. Der Autor war dabei in der Lage durch Humor das Leben trotz der Probleme als lebenswert zu zeichnen. So manches Werk hat auch autobiographische Züge und Elemente, die der Schriftsteller aus Erzählungen holt, die er in seiner Kindheit hörte oder erlebte.

Eines der Probleme warum Harald Johnsson nicht als ernsthafter Schriftsteller anerkannt wurde, war, dass er sich immer auf die Seite der Armen und Unterdrückten stellte und die Untergrundkämpfer Skånes als Helden im Kampf gegen die Übergriffe Schwedens darstellte. Johnsson wollte dabei lediglich eine andere Möglichkeit der Wahrheit aufzeigen, die jedoch gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts offiziell wenig willkommen war, da Schweden von der gehobenen Schicht immer noch als die Wiege der Welt und der Kultur gesehen wurde.

Copyright: Herbert Kårlin

Göteborg Reiseführer

29 april 2013

Sven Nordqvist und die Phantasiewelt der Kinder

Sven Nordqvist wurde am 30. April 1946 als Sohn des Gymnasiallehrers Bengt Hjell und der Kartenzeichnerin und Arztsekretärin Marianne Nordqvist in Helsingborg geboren. Da sich die Eltern jedoch trennten als der Junge zwei Jahre alt war, wuchs er mit seinem Bruder bei den Großeltern mütterlicherseits in Halmstad auf, wohin die Mutter nach der Scheidung gezogen war. Nordqvist lebt mit seiner Frau Eva seit einigen Jahren in Stockholm.

Bereits sehr früh war Sven Nordqvist vom Zeichnen fasziniert, wobei er anfangs die Bilder der amerikanischen Zeitschrift MAD nachzeichnete, mit 15 einen amerikanischen Zeichenkurs im Fernstudium belegte und anschließend versuchte in einer Kunstschule unterzukommen. Da er jedoch von allen abgelehnt wurde, studierte er an der Technischen Hochschule in Lund Architektur.

Sven Nordqvist, Findus flyttar ut, Förlag Opal, Titel: Sven Nordqvist

Nach dem Abschluss seines Studiums arbeitete Sven Nordqvist ein Jahr lang in einem Architekturbüro und ein Jahr unterrichtete er Architektur an der Technischen Hochschule in Lund. Nach dieser Erfahrung wusste er, dass er den falschen Beruf gewählt hatte und begann in einem Reklamebüro in Halmstad als Zeichner zu arbeiten, wobei er parallel dazu auch bereits Weihnachtskarten, Glückwunschkarten, Lehrbücher und Plakate malte und sich mit graphischen Techniken beschäftigte.  Ab 1970 entschied sich Nordqvist dann hauptberuflich als Zeichner und Künstler zu arbeiten.

Viele Jahre legte Sven Nordqvist seinen Schwerpunkt ausschließlich auf das Zeichnen und er nahm an zahlreichen Ausstellungen in ganz Schweden teil. Der berufliche Umschwung kam im Jahre 1981, als Nordqvist eine Ausschreibung des Opal Verlages mit dem Bilderbuch Agaton Öman och alfabetet gewann. Bei diesem Werk handelt es sich um ein Buchstabenspiel für Kinder zwischen sechs und neun Jahren, die mit Hilfe des Buches das Alphabet lernen sollen. Nordqvist musste hierfür auch den Text schreiben, was der Beginn einer Karriere als Kinderbuchautor werden sollte.

Der Erfolg kam für Sven Nordqvist bereits im kommenden Jahr mit seinem Kinderbuch Pannkakstårtan, die Geschichte von Pettson und seiner etwas besonderen Katze Findus. Die Geschichten für Kinder zwischen drei und sechs mit den zugehörigen Zeichnungen kamen so gut an, dass der Autor und Zeichner Nordqvist weitere sieben Bücher mit den beiden Hauptpersonen des ersten Bandes veröffentlichte.

Nach dem Erfolg von Pettson und Findus war für Sven Nordqvist klar, dass er seine Bestimmung gefunden hatte und er schrieb auch andere Kinderbücher, die überwiegend zum Vorlesen gedacht waren und die Kindern mit der Bebilderung in eine Phantasiewelt führten. Neben seinen eigenen Kinderbücher kamen auch immer mehr Aufträge Kinderbücher anderer Autoren zu bebildern.

Als 1993 die zehnjährige Hannele Norrström an einem Gehirnkrebs starb, hatte das Mädchen vom Krankenbett aus noch die Erzählung Guldflickan geschrieben und den Wunsch geäußert, dass Sven Nordqvist ihr Buch illustrieren sollte. Der Schriftsteller und Zeichner akzeptierte, und ein Teil der Einnahmen aus dem Buchverkauf ging anschließend an die schwedische Kinderkrebshilfe.

Sven Nordqvist, der zahlreiche Auszeichnungen für seine Werke erhielt und für sein Bilderbuch Var är min syster mit dem Augustpriset belohnt wurde, sagt von sich selbst, dass er seine Kinderbücher im Grunde nicht für ein Publikum schreibt, sondern während der Arbeit in eine eigene Sagenwelt taucht und eine eigene Welt entdeckt an der er seine Leser anschließend teilhaben lässt. Für den Autor ist es wichtig die Fantasie zu benutzen, gerade in einem Kinderbuch.

Bei den Kinderbüchern von Sven Nordqvist bilden Text und Bilder eine Einheit, denn wenn man den Text gelesen hat oder erzählt bekam, so kann man in den Bildern anschliessend nicht nur die Handlung wiederfinden, sondern hunderte von Details, die zeigen, dass sich Nordqvist auch für Technik interessiert und weiß wie man die Welt der Kinder mit hunderten von Kleinigkeiten bereichern kann. Eltern mit Phantasie können daher ihren Kinder mit Hilfe der Bücher des Autors zahlreiche weitere Geschichten erzählen, die bereits in den Werken des Schriftstellers und Zeichners enthalten sind.

Auch wenn sich zahlreiche Literaturwissenschaftler und Kritiker weigern, Kinderbücher als Literatur zu bezeichnen, so ist gerade die erste Begegnung eines Kindes mit der Welt des Buches entscheidend ob ein Interesse für das Lesen geweckt wird, ob die Phantasie sich entwickelt und welche Art von Büchern die Kinder später lesen. Die schwedische Literaturgeschichte ist daher nicht nur jene Literatur, die Erwachsene mit einer gewissen Bildung anspricht.

Sven Nordqvist arbeitet, neben seiner Tätigkeit als Autor und Zeichner für Kinderbücher, auch als Künstler für Kinder. Er entwickelte Spielplätze, arbeitete für die Kinderabteilung des Akademischen Krankenhauses in Uppsala und er schuf, gemeinsam mit Leif Högström, im Jahre 1991 das Bilderbuchdorf im Millesgården auf Lidingö.

Copyright: Herbert Kårlin

28 april 2013

Mathilda Roos und der Kampf für die Freiheit der Frau

Mathilda Roos wurde am 2. August 1852 als Tochter des Oberst Malte Leopold Roos und dessen Frau Mathilda (Thilda) Beata Meurk in Stockholm geboren und starb am 17. Juli 1908 in Stocksund. Roos war nie verheiratet.

Nach eigenen Erzählungen wuchs Mathilda Roos in einem glücklichen bürgerlichen Heim auf in dem Bildung eine wichtige Rolle einnahm. Die Eltern zeigten sich in Fragen der Kindererziehung als liberal, was in jener Zeit eine bedeutende Rolle spielte, da in den gehobenen Kreisen auch die ersten Jahre der schulischen Erziehung zu Hause stattfanden. Erst zwischen 1867 und 1869 besuchte Roos die private Mädchenschule Åhlinska skolan in Stockholm.

Mathilda Roos, Vit Ljung, Albert Bonniers Förlag

Nach ihrem Schulabschluss hatte Mathilda Roos, wie jede Frau der gehobenen Schicht, im Grunde nur noch die Aufgabe das gesellschaftliche Leben zu pflegen und auf einen Ehemann aus ebenfalls gutem Hause zu warten. Sehr bald war Roos dieser Müßiggang jedoch nahezu lästig und sie begann sich, gemeinsam mit ihrer Schwester Anna, weiterzubilden, Kleider zu nähen und öffnete selbst eine Nähschule für arme Kinder. Roos fand auch einen zukünftigen Ehemann, Gotthard Dahlerus, zumindest kam es bis zur Verlobung, diese wurde jedoch zu Beginn der 80er Jahre aufgehoben, da der Zukünftige vermutlich mit dem Freiheitsstreben der modernen Frau jener Zeit überfordert war.

In den Jahren des Müßiggang hatte Mathilda Roos auch begann zu schreiben, aber glücklicherweise blieben die ersten der Novellen nur in der Schublade liegen und nur die besten unter ihnen wurden im Svenska familje-journalen veröffentlicht. Aber diese Beschäftigung führte immerhin dazu, dass sich Roos mit ihrem Stil beschäftigte und an sich arbeitete.

Bereits 1881 erschien dann der erste Roman von Mathilda Roos, wobei Marianne unmittelbar ein Erfolg wurde, da die Schriftstellerin hier im Stile von August Strindbergs Röda Rummet einen realistischen Roman vorlegte, der mehr an die Literatur Dänemarks und Frankreichs denken ließ als an die schwedische Literatur dieser Epoche. Auf Grund des Erfolgs von Marianne veröffentlichte das Stockholms Dagbladet dann ihren kommenden Roman Höststormar als Feuilleton und Roos wurde in einem Zug mit Max Nordau, Eduard von Hartmann und Jens Peter Jacobsen genannt.

Das Werk Höststormar, das vermutlich auch einer der Gründe war, dass ihr „Zukünftiger“ die Verlobung auflöste, sollte der letzte Roman von Mathilda Roos werden, der unter die Gruppe des realistischen Romans fiel, denn sie entblößte hier mit einer satirischen Klarheit das Stockholmer Gesellschaftsleben, inklusive ihrem erotischen Verhalten, so dass die Schriftstellerin nahezu zu einer Person non grata in der gehobenen Schicht der Hauptstadt wurde nicht zuletzt auch deswegen, weil sie als Frau nach der geltenden Gesellschaftsnorm über diese Dinge zu schweigen hatte. Der Erfolg des Feuilletons war auch, dass Roos den Roman überarbeiten musste und er erst 1887 in revidierter Form erschien.

Die beißende Kritik an Höststormar, der Tod ihres Vaters im Jahre 1882 und die damit zusammenhängenden finanziellen Probleme, die zerbrochene Verlobung und ein beginnendes schmerzhaftes Nervenleiden führten dazu, dass Mathilda Roos davon überzeugt wurde, dass die die Religion und der Glaube die Zukunft weisen müssen. Diese Überzeugung spürt man auch in allen zukünftigen Werken der Schriftstellerin, denn sie geht von einer satirischen Kritik auf ein Gefühl der Mitmenschlichkeit über.

All diese Probleme bremsten jedoch nicht die literarische Leistung von Mathilda Roos, denn sie schrieb nun einen Roman nach dem anderen und wurde Mitglied in zahlreichen literarischen und gesellschaftskritischen Vereinen, unter anderem dem Fredrika Bremer Verband, den Gesellschaften Nya Idun und Heimdal und mehreren Künstlergilden Stockholms, auch wenn die Schriftstellerei nach wie vor ihre Hauptbeschäftigung blieb.

Als Mathilda Roos ihre literarische Richtung ändert und von der Sensation zur Gesellschaftskritik wechselt, wenden sich die Kritiker von ihr ab und stufen sie als Autorin ein, die auf Grund ihres Glaubens moralisierend wird, was jedoch mehr darauf hinzuführen ist, dass sie enttäuscht davon sind keine Skandale mehr geboten zu bekommen und die Bücher der Autorin nicht mehr lesen, denn die literarische Kursänderung führt zu einigen der bedeutendsten Werke der Schriftstellerin und beweisen eine Gesellschaftskritik und eine Weitsicht, die um diese Zeit selten war, auch wenn ihre christliche Anschauung eine gewisse Rolle für die Handlungen spielt.

Als deutliche Beispiel kann man hier die Werke Hårdt mot Hårdt sehen, ein Angriff auf die Doppelmoral der Zeit mit den sexuellen Belästigungen, die Frauen im Arbeitsleben akzeptieren müssen, Hvit ljung, in dem Mathilda Roos die harte Situation der Lehreren Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt, Familj Verle, wo die Töchter gegen die Diktatur der väterlichen Macht revoltieren oder Den första kärleken in der sie die lesbische Liebe verteidigt, ein Buch, das später ein Standardwerk der Frauenbewegung wurde.

Mathilda Roos mischte sich mit einigen längeren Artikeln auch in die Debatte um Ellen Key ein in denen sie der Schriftstellerin ihre Einstellung zur geschlechtsspezifischen Trennung von Mann und Frau vorwarf, die die Frau in ein System steckt in dem sie nur Verliererin sein kann, da die Frau dabei ihrer Freiheit und freien Entscheidung beraubt wird, da sie das Zentrum der Familie sein muss und, nach der Theorie von Keys, für die Erziehung und den Haushalt verantwortlich zeichnen muss und der Mann im Beruf steht.

Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte Mathilda Roos in ihrem Haus Furuliden in Stocksund, das sie, gemeinsam mit ihrer Schwester Anna und der Jugendfreundin Laura Fitinghoff, erbauen lassen hatte und nach ihrem Tod ein Heim für bedürftige Frauen wurde. Als sie bereits im Sterben lag, traf sie auch ihren ehemaligen Verlobten Gotthard Dahlerus wieder, der Tag für Tag an ihrem Totenbett saß.

Copyright: Herbert Kårlin

Göteborg Reiseführer Göteborgs Tanz- und Theaterfestival

27 april 2013

Mia Leche-Löfgren und die autobiographische Literatur Schwedens

Mia Leche-Löfgren, geborene Leche, wurde am 10. Oktober 1878 als Tochter des Zoologen Wilhelm Leche und dessen Frau Minchen Sager in Lund geboren und starb  am 8. April 1966 im Alter von 87 Jahren in Stockholm. Leche-Löfgren war von 1900 bis 1908 in erster Ehe mit der Schreibkraft Fredrik von Friesen und ab 1909 mit dem Politiker und Rechtsanwalt Eliel Löfgren verheiratet.

Ihre Kindheit verbrachte Mia Leche-Löfgren in einem sehr bürgerlichen Elternhaus, das ihr jedoch große Freiheiten ließ und sie sehr früh mit dem kulturellen und politischen Leben der Stadt vertraut machte. Leche-Löfgren bezeichnete sich selbst als Kind des Liberalismus der 90er Jahre.

Mia Leche-Löfgren,  Ellen Key: Hennes liv och verk, Förlag Naturoch Kultur, 1930

Die Eltern schickten Mia Leche-Löfgren in die sehr progressive Whitlockska Skolan in Stockholm in der Ellen Key eine ihrer Lehrerinnen war, was einen tiefen Eindruck bei der Schriftstellerin hinterließ. An die Öffentlichkeit tritt Leche-Löfgren erstmals im Jahre 1906, als die Ehe mit ihrem ersten Mann bereits in der Krise war. Ihre erste Aufgabe bei der konservativen Zeitschrift Vårt land, wo sie sie zwei Jahre lang als Literaturkritikerin arbeitete, war Bücher zu rezensieren um die sich Carl David af Wirsén nicht kümmerte. Die Journalisten überzeugte bei ihren Kritiken mit ihrer Offenheit, auch wenn sie bald feststellte, dass die Zeitung nicht ihre Ideen vertrat.

Zwischen 1908 und 1930, nach ihren Erfahrungen mit Vårt land, erscheinen nur wenige kleinere Werke und Pamphlete von Mia Leche-Löfgren, die in dieser Zeit auch den Journalismus ziemlich ruhen lässt. Dafür ist Leche-Löfgren nun politisch sehr aktiv, denn 1914 findet man sie unter den Gründerinnen der Frisinnade kvinnor und ein Jahr später taucht ihre Name unter der Gründerinnen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit auf. Ihre Aktivitäten für die Freiheit der Frau und die Friedensbewegung führen die Journalisten und Schriftstellerin durch mehrere Länder und sie entwickelt sich in dieser Zeit zu einer der bedeutendsten Rednerinnen der schwedischen Frauenbewegung.

Erst 1930, als Mia Leche-Löfgren bereits 52 Jahre alt war, erscheint ihr erstes Buch, eine Biographie über Ellen Key. Diesem Buch folgen in den nächsten Jahren einige autobiographische Werke, die jedoch weitaus weniger Beachtung fanden als ihr Buch über Ellen Key.

Ab 1934 kehrte Mia Leche-Löfgren auch voll zum Journalismus zurück und beginnt ihre Arbeit bei Idun. Die Mitarbeit bei dieser Zeitschrift macht die Journalistin und Schriftstellerin auf nationaler Ebene bekannt, zumal sie dort über sehr unterschiedliche Themen berichtet und mit ihrem einfachen Stil überzeugt. In dieser Zeit intensiviert sich auch ihre Arbeit mit der Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning wieder, die einzige Zeitung für die sie auch die vorhergehenden Jahre immer wieder aktiv war. Sehr bald wechselte Leche-Löfgren dann jedoch zur damals aufsteigenden Göteborgs-Posten über.

Im Verhältnis zu ihrer politischen Aktivität als Journalistin kam die literarische Aktivität von Mia Leche-Löfgren immer erst an zweiter Stelle, was sich auch in den 30er Jahren sehr deutlich zeigte, denn sie zeigte während des Aufstiegs von Adolf Hitler sowohl in ihren journalistischen Beiträgen als auch als Rednerin eine beißende Kritik gegen den Antisemitismus und macht jede Sekunde auf die Probleme Unterdrückter aufmerksam, wobei die Journalistin und Schriftstellerin sich auch an zahlreichen humanitären Einsätzen beteiligt.

Als 1940 der Ehemann von Mia Leche-Löfgren stirbt, zieht sie nach Göteborg um Torgny Segerstedt näher zu kommen und um ihn in seinem Kampf gegen den Nazismus zu unterstützen. Diese freundschaftliche Verbindung führt auch zu ihrem Buch Hård tid aus dem Jahre 1946 in dem sie Segerstedt, seine Umgebung und die Atmosphäre Göteborgs um diese Zeit auf vortreffliche Weise schildert.

Mia Leche-Löfgren versuchte bei ihrem literarischen Schaffen auf jede tiefsinnige Betrachtung und Analyse zu verzichten und wollte einen Realismus zeigen, den der Leser nachfühlen kann. Die Schriftstellerin benutzte daher bei allem was sie schrieb eine relativ einfache Sprache, die ein weiter Leserkreis verstehen konnte und leistete damit einen bedeutenden Beitrag zur Unterhaltungskultur, auch wenn Leche-Löfgren keine Neigung zur Belletristik hatte, sondern zum Reportageroman neigte.

Diese Neigung zu einer verständlichen Sprache zu greifen und auf tiefsinnige Gedanken zu verzichten, zeigt sich auch an den autobiographischen Werken der Autorin, denn für Mia Leche-Löfgren sind die Handlungen, die Geschehnisse und die einfache Sprache wichtiger als eine wirklich chronologische Darstellung oder ihre Einordnung in eine Zeitlinie. Diese Eigenart unterscheidet auch die autobiographischen Werke von Leche-Löfgren von jenen anderer Autoren, denn sie ist um diese Zeit die einzige Schriftstellerin, die autobiographische Romane zur Literatur macht.

Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte Mia Leche-Löfgren wieder in Stockholm, wo sie erneut in den intellektuellen Kreisen der Stadt aufgenommen wurde und eine Art Vertrauensstellung einnahm. Noch bei ihrem letzten Buch Bokslut aus dem Jahre 1962 findet man die gleichen Ideen der Autorin, die ihr ganzes Leben formten, denn sie schrieb eine Art Protestbuch und warnte von der Infiltration kommunistischer Kräfte innerhalb der Friedensbewegung, da die Friedensbewegung unabhängig von einer Parteirichtung sein muss, wenn sie Erfolg haben soll.

Copyright: Herbert Kårlin

26 april 2013

Axel Krook, der Meinungsmacher des 19. Jahrhunderts

Axel Krook wurde am 9. August 1831 als Sohn des Kaufmanns Anders Georg Krook und dessen Frau Fredrika Sager in Sölvesborg geboren und starb am 26. April 1893 in Göteborg. Krook war ab 1855 mit Selma Madelaine Warberg verheiratet.

Da über die Kindheit und die Jugend von Axel Krook nahezu nichts bekannt ist, beginnt seine Biographie mit seiner Hochschulreife in Lund, der Stadt in der er 1850 ein Medizinstudium begann, das er auch mit einem ersten Examen abschloss, obwohl er sich diesem Studium wenig widmete, da er sich von der schöngeistigen Literatur angezogen fühle und dieser sehr viel Zeit widmete.


Stich: Schwedisches Reichsarchiv

Bereits 1851 schloss sich Axel Krook einer Gruppe literarisch interessierter Studenten der Universität Lund an, die die Gesellschaft Sjustjärnan gründeten. Nicht ganz klar ist dabei ob Krook oder Viktor Rydberg dabei die treibende Kraft war, aber sicher ist, dass beide eine wichtige Rolle innerhalb der Gesellschaft einnahmen. Sjustjärnan musste allerdings bereits ein Jahr später seine Aktivitäten einstellen, da sowohl Krook als auch Rydberg die Universität, aber auch Lund, aus finanziellen Gründen vorübergehend verlassen mussten.

Ab 1854 arbeitete Axel Krook für die sehr progressiven Zeitungen Allmänna tidningen und der umstrittenen antisemitischen Folkets röst. Im gleichen Jahr begann Krook zusätzlich Märchen im Stil von Hans Christian Andersen zu schreiben, zum Beispiel Skogsflickans sagor, und er arbeitete an satirischen Lustspielen unter denen Blekingsflickan und En julafton i Blekinge am bekanntesten wurden, Stücke, die im Humlegårdsteatern und dem Södra teatern in Stockholm aufgeführt wurden.

In den ersten Jahren seiner journalistischen Aktivität arbeitete Axel Krook bei verschiedenen Zeitungen ohne jedoch davon leben zu können - bis er 1859 nach Göteborg zog. Nur ein Jahr nach seinem freiberuflichen Beginn bei der Göteborgs-Posten wurde er dort fest angestellt und konnte seine Arbeit als Telegraphieassistent aufgeben.

In Göteborg nahm Axel Krook seine Beziehungen zu Viktor Rydberg unmittelbar wieder auf und traf den Journalisten und späteren Reichstagspolitiker Sven Adolf Hedlund. Gemeinsam wurde die Gruppe als die treibende Kraft des politischen und literarischen Geschehens Göteborgs betrachtet, deren Einfluss jedoch weit über die Grenzen Westschwedens hinausreichten.

Noch in den 60er Jahren engagierte sich der nach wie vor liberal-konservative Axel Krook in der Arbeitervereinigung und führte dort eine Krankenkasse, eine Begräbniskasse und andere Neuerungen ein. 1868 gründete Krook dfann die Zeitung Arbetare, ohne jedoch seine Tätigkeit bei der Göteborgs-Posten aufzugeben.

Die literarische Aktivität Krooks war in den 60 und 70er Jahren sehr beschränkt, da er politisch sehr aktiv war. Bedeutend aus dieser Zeit sind lediglich seine beiden Werke Tro och otro aus dem Jahre 1864 und Sokrates, das zwei Jahre später erschien, da sich Krook in diesen beiden Werken kritisch zur Religion ausdrückte und damit stark kritisierte Bücher vorlegte, deren Ziel und Inhalt erst Jahrzehnte später erfasst wurde.

Um den Mangel an literarischer Arbeit zu kompensieren, schrieb Axel Krook in dieser Zeit allerdings hunderte von Rezensionen überwiegend über ausländische Werke und beeinflusste damit das kulturelle Denken Schwedens in sehr bedeutendem Masse, denn Krook schrieb nicht nur über Literatur, sondern auch über Musik, Kunst, Theater und alle anderen kulturellen Bereiche. Parallel dazu schrieb der Journalist und Schriftsteller in dieser Epoche auch einige kurze Theaterstücke, die er für eine von ihm geplante  Arbeiterbühne vorsah, aber weder die Idee des Arbeitertheaters zeigte einen größeren Erfolg, noch seine Theaterstücke, die er unter dem Pseudonym Nils Andersson veröffentlicht hatte, da die Stücke schnell geschrieben und entsprechend oberflächlich waren.

Der Erfolg und die Vielseitigkeit von Axel Krook verhinderte gewissermaßen einen bedeutenden Erfolg als Schriftsteller. Wenn man seine Aktivität der 70er Jahre betrachtet, so stellt man fest, das er Mitgründer der Göteborger Volksbank und dessen Direktor war, dass er künstlerischer Direktor des Stora Teatern in Göteborg war, im Stadtrat saß, als Journalist arbeitete und zusätzlich Novellen, Gedenkschriften und anderes für das Svenska familj-journalen und den Svea-Kalender schrieb. Nebenbei war Krook auch noch als Übersetzer tätig.

Die Rolle von Axel Krook innerhalb der schwedischen Literaturgeschichte ist daher weniger in seiner Rolle als Literat zu sehen, da er in diesem Bereich nur wenige bedeutend Werke veröffentlichte. Seine Bedeutung liegt jedoch an seiner Arbeit ala Journalist, da er einer der bedeutendsten Autoren Ende des 19. Jahrhunderts war, der die Meinung der Schweden und ihre Einstellung zur Literatur bedeutend beeinflusste. In gewissen Jahren war es Krook der dem schwedischen Volk vorschrieb welche ausländischen Bücher übersetzt und gelesen werden sollten.

Copyright: Herbert Kårlin

25 april 2013

Ellen Key und die kulturelle Frauenbewegung Schwedens

Ellen Key wurde am 11. Dezember 1849 als Tochter des Postmeisters, Politikers und Gutsbesitzers Emil Key und dessen Frau, Gräfin Sophie Ottiliana Posse, in Gladhammar im Småland geboren und starb im Alter von 76 Jahren in Strand in Västra Tollstad. Key war nie verheiratet, da alle ihre Beziehungen scheiterten.

Im Gegensatz zu ihren Brüdern, die eine strenge Erziehung erlebten, wurde Ellen Key bereits während ihrer Kindheit mit Literatur versorgt, wobei ihre Ausbildung in den ersten Jahren von Gouvernanten übernommen wurde und sie daher erst 1864 oder 1865 in die Åhlinska Skolan kam, bevor Key anschließend in Stockholm eine Ausbildung zur Lehrerin begann. Nach eigenen Schilderungen war das Elternhaus gefühlsarm, denn die Schriftstellerin erinnerte sich später daran nicht ein einziges Mal Zärtlichkeit von Seiten der Mutter erlebt zu haben.

Ellen Key, Kärleken och Äktenskapet, Albert Bonniers Färlag

Bereits als Jugendliche kam Ellen Key in engsten Kontakt mit der freikirchlichen Erweckungsbewegung, die sie sehr stark prägte und alle ihre späteren Werke beeinflusste, auch wenn sie im Alter einen gewissen Abstand von der Religion nahm.

Nach Abschluss ihrer Ausbildung als Lehrerin und einer Weiterbildung an der Danska Folkhögskolan arbeitete Ellen Key erst einige Jahre als Sekretärin ihres Vaters, der um diese Zeit einer sehr aktiven politischen Arbeit nachging. Diese Arbeit erlaubte es Key die Realität der Politik zu entdecken und sich eine persönliche Meinung zur Situation des schwedischen Staates zu bilden, was die Autorin allerdings auch einen Teil an Idealismus kostete.

Ab 1880 arbeitete Ellen Key in der vor kurzem gegründeten Anna Whitlock Skola, einer modernen Mädchenschule in der die Schülerinnen ihre Themen selbst wählen konnten, einen Schülerrat hatten sowie praktische und theoretische Arbeiten sich abwechselten. Ellen Key leistete einen großen Anteil an der Entwicklung der Schule, die in großen Linien ihren eigenen Ideen entsprach.

In den Jahren in denen Ellen Key an der Schule von Anna Whitlock arbeitete, entwickelte sie sich zu einer Kämpferin, die die Situation Schwedens verändern wollte und sie hielt im ganzen Land Vorträge. Key spricht vor Arbeitern, vor den Guttemplern, kämpft für das Wahlrecht der Frauen, gründete mit Amalia Fahlstedt den Verein Tolfterna und setzt sich für eine allgemeine Volksbildung ein. Viele ihrer Vorträge erscheinen auch als Pamphlete und kleinere Bücher und werden als der Beginn des literarischen Schaffens von Ellen Key betrachtet.

Am bekanntesten aus dieser Zeit wurde ihr Werk Missbrukad kvinnokraft, das nach einem ihrer Vorträge in Kopenhagen entstand. Bei diesem Büchlein stellt sich Key vollkommen gegen die Frauenbewegung Schwedens und damit den beginnenden Feminismus des Landes, denn sie wirft den Feministinnen vor bei ihren Forderungen gegen die weiblichen natürlichen Eigenschaften zu kämpfen. Während ihre These in Dänemark positiv aufgenommen wird, zeigt sich in Schweden eine Woge des Protests, da man mit der positiven Einstellung Keys zur Ehe und der von ihr propagierten getrennten Rolle von Mann und Frau nicht einverstanden sind.

Ab dem Jahre 1900 widmet sich Ellen Key ganz der Schriftstellerei, wobei im gleichen Jahr auch ihr bekanntestes Buch Barnets århundrade erschien, das bereits wenig später in 26 Sprachen übersetzt wurde und Ellen Key weltweit bekannt machte und ein neues Schulsystem propagierte, eine antiautoritäre Erziehung, die 60 Jahre später Alexander Sutherland Neill erneut verbreitete, wenn auch in einer extremeren Weise als Key, für die der Humanismus von Goethe wichtiger war als die Psychoanalyse Wilhelm Reichs für Neill.

Die sehr eigenwillige Meinung von Ellen Key zum Feminismus Schwedens und damit die Weigerung die Frauen zu unterstützen, die die Freiheit vom Patriarchat suchten, machten Key zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Hassfigur des Landes. Nachdem dann auch noch Vitalis Norström und Carl David af Wirsén öffentlich gegen Key auftraten, beging die Schriftstellerin eine Art Landesflucht und hielt in ganz Europa Vorträge, da man dort ihre Meinung mehr akzeptierte.

Während die Frauen Schwedens Ellen Key kritisierten, weil sie die Frau als das Zentrum eines Hauses und innerhalb einer Ehe sah, kritisierten Männer vor allem ihre Werke zur freien Liebe ohne Ehe, der Forderung nach einem Scheidungsrecht und nach einem neuen Ehegesetz, das den Frauen mehr Rechte geben sollte, da ihre Ideen das Patriarchat entmachten würde und die „männliche Tradition“ in Frage setzte.

Da Ellen Key sich in einer Zeit in der viele Frauen Schwedens die Unabhängigkeit suchten, mehr für die allgemeinen politischen Rechte der Frau einsetzte und auch das Recht der Frau auf Kultur und Bildung forderte, ging die Schriftstellerin einen Weg auf Messers Schneide. An ihrer klaren Meinung, die keine Abweichungen zuließ, scheiterte auch ihre Freundschaft mit August Strindberg, der sie später, wenig schmeichelhaft, als „Hanna Paj“ in seinem Buch Svarta fanor verewigte.

Erst ab 1910 begann sich die Meinung über Ellen Key auch in Schweden zu ändern, was zu einem sehr engen Verhältnis zu Schriftstellern wie Elin Wägner, Agnes von Krusenstierna, Hjalmar Bergman, Pär Lagerkvist und vielen anderen führte, die verstanden hatten, dass Key eine sehr wichtige Rolle für die Zukunft der schwedischen Frau spielte, gerade weil sie den Kampf als Auseinandersetzung ablehnte und eine humanistische Vision hatte, die weit in die Zukunft reichte.

Ellen Key, die am 25. April 1926 an einer Gehirnblutung starb, war eine der meist gelesenen Autorinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die mit ihren Büchern einen sehr wichtigen Beitag zur Frauenbewegung Europas leistete, auch wenn ihre Meinung heute mehr aus historischer Warte betrachtet werden muss und nicht mit den Augen der heutigen Gesellschaft, da die Frau in Schweden keinerlei Rechte hatte als Key ihre Bücher schrieb und sie nur dann frei leben konnte, wenn sie nicht verheiratet war und ein eigenes Einkommen hatte.

Copyright: Herbert Kårlin

Pferdesport in Göteborg

24 april 2013

Samuel Columbus und das biblische Epos Schwedens

Samuel Columbus wurde am 24. April 1642 als Sohn des Priesters Jonas Columbus und dessen Frau Elisabet Tomasdotter Barchia im Pfarrhof in Dala-Husby in Dalarna geboren und starb am 8. Juli 1679  in Stockholm. Der Schriftsteller war, im Gegensatz zu seinem Bruder, dem Wissenschaftler und Poeten Johan Columbus, nie verheiratet.

Da Samuel Columbus erst 1656 in der Schule in Västerås eingeschrieben wurde und dort zwei Jahre später auch das Gymnasium besuchte, ist anzunehmen, dass der Junge erst zu Hause von Privatlehrern oder seinem Vater unterrichtet wurde. Bereits im März 1659 schrieb sich Columbus an der Universität Uppsala ein und sieben Jahre später begann er als Hauslehrer zu arbeiten.

Samuel Columbus, Samlade Dikter, Svenska Vitterhetssamfundet, 1994

In Uppsala studierte Samuel Columbus insbesondere klassische und orientalische Sprachen sowie Poesie und verkehrte dadurch im sogenannten Herdekretsen, einem Verband literaturinteressierter Studenten, dem auch Urban Hjärne, Anders Leijonstedt und Jakob Gyllenborg angehörten. In dieser Zeit schrieb Columbus bereits Gedichte in Latein und Griechisch, aber vermutlich auch einige wenige in schwedischer Sprache. Zusätzlich ist überliefert, dass er an Urban Hjärnes Schauspiel Rosimunda teilnahm.

Als Samuel Columbus von 1667 bis 1670 in Stockholm beschäftigt war, lernte er Georg Stiernhielm kennen und wurde sein literarischer Lehrjunge und Privatsekretär. In diesem Zusammenhang bearbeitete er im Jahre 1669 auch Stiernhielms Gedicht Hercules und schuf das Ballett Spel om Herculis wägewal. Als Columbus ab 1671 Hauslehrer für die Kinder von Jacob Momma-Reenstierna war, besuchte der Skalde mit seinen Schülern längere Zeit Deutschland, England, Holland und Frankreich. Bei seinem Aufenthalt in Paris beschäftigte er sich mit der französischen Litteratur und begann Pierre Corneille und Molière (Jean-Baptiste Poquelin) zu übersetzen.

Auch wenn Samuel Columbus bisweilen schwedische Lyrik schrieb, so wurden aus der Zeit zwischen 1661 und 1666 nur lateinische, griechische und eine hebräisches Gedicht überliefert, die zudem sehr deutlich von den klassischen Dichtern beeinflusst waren und nicht von einer hohen Dichtkunst sprechen. Möglicherweise gingen jedoch die bedeutender Werke verloren, da Petrus Lagerlöf schreibt, dass Columbus auf dem Wege war alle literarischen Preise der Zeit zu gewinnen und nur der frühe Tod ihn davon abhielt.

Als die ersten schwedischen Gedichte von Samuel Columbus auftauchen, hatte er bereits einen engeren Kontakt zu Stiernhielm, der ihn sicher von der Bedeutung schwedischsprachiger Dichtung überzeugte, denn noch bevor Columbus zur Muttersprache griff, versuchte er sich auch an deutscher und französischer Lyrik, auch wenn er diese beiden Sprachen noch nicht mit ihren Feinheiten beherrschte.

Die Motive für seine Poesie holte Samuel Columbus aus der Welt der Antike, der Geschichte, der Natur und später vor allem aus der Bibel, die für den sehr religiös erzogenen Autor immer eine wichtige Rolle spielte. Sehr deutlich drückt sich diese im Epos Den bibliske werlden aus, dem ersten religiösen Epos der schwedischen Literaturgeschichte und die Krönung der religiösen Literatur, die um diese Epoche sehr verbreitet war.

Literaturwissenschaftler nehmen an, dass Samuel Columbus bei der Idee ein religiösen Epos zu schreiben, dem Vorbild des französischen Hugenottendichters Du Bartas folgte, der diese Art des Epos mit La premiére sepmaine ins Leben gerufen hatte, denn die Bearbeitung des Epos von der Schaffensgeschichte bis zum Sündenfall zeigen verblüffende Parallelen, wenn man von der Sprache absieht.

Den Auftrag als Privatlehrer verlor Samuel Columbus während er mit seinen Schülern in Frankreich war, da deren Vater seiner Schüler starb und sie dadurch zurück in die Heimat mussten. Da Columbus dadurch auch in finanzielle Schwierigkeiten geriet, suchte er bereits von der Entfernung aus eine Arbeitsstelle an der Universität Uppsala, was sich jedoch als sehr schwierig erwies, da er während seiner Studienzeit an einem Aufstand gegen die Universität beteiligt war und deswegen eine Zeit im Gefängnis verbracht hatte.

Die Rückreise von Samuel Columbus dauert insgesamt drei Monate, da er mit einer Krankheit zu kämpfen hatte. Um seinen Ruf in Uppsala wieder herzustellen begann der Skalde nach seiner Rückkehr ein Epos zum dänischen Krieg von Karl XI. zu schreiben, das jedoch nur als Fragment erhalten ist, da der Dichter vor der Vollendung des Werkes mit nur 37 Jahren starb.

Durch den frühen Tod, seine Krankheiten und auch den Geldmangel, der ihn immer wieder zu einer regelmässigen Arbeit zwang, hinterließ Samuel Columbus nur ein beschränktes literarisches Erbe, das vermutlich ohne sein biblisches Epos und seine letzten Gedichte, von denen einige auch als Psalmen bis heute erhalten blieben, heute vergessen wäre, da weder das vielversprechende letzte Epos entstand noch der Dichter dazu kam seine Hauptwerke zu beginnen.

Copyright: Herbert Kårlin

23 april 2013

Ulla Isaksson und ein Blick in die Seele der Frau

Ulla Isaksson, geborene Lundberg, wurde am 12. Juni 1916 als Tochter des Disponenten Knut Lundberg und dessen Frau Greta Bransch in Stockholm geboren und starb am 24. April 2000 in Vallentuna. Isaksson war in erster Ehe mit dem Ingenieur David Isaksson verheiratet und ab 1963, in zweiter Ehe, mit dem Literaturwissenschaftler Erik Hjalmar Linder.

Ihre Kindheit verbrachte Ulla Isaksson in einer sehr gläubigen freikirchlichen Gemeinschaft, was auch erklärt, warum zahlreiche ihrer Werke immer wieder auf Gott, die Frau und die Liebe zurückkehren. Da das Elternhaus relativ wohlhabend war, sorgte die Familie dafür, dass die spätere Schriftstellerin auch eine sehr gute Bildung erhielt und im Jahre 1937 ihr Abitur in der humanistischen Linie ablegte.

Ulla Isaksson, Boken om E, Albert Bonniers Förlag

Kaum ein Jahr nach ihrem Abitur heiratete Ulla Isaksson den Ingenieur David Isaksson und bereits 1940 erschien dann ihr erster Roman Trädet, der der Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der Religion war, einer Phase, die über zehn Jahre lang dauern sollte und in Form von mehreren Büchern ein Zeitdokument ist, das in Romanform beschreibt wie schwierig es ist sich aus den Bann einer strikten Religion zu befreien.

Die Schriftstellerin betrachtet diese ersten Werke, die alle in den 40er Jahren erschienen, nicht als Literatur, da sie mit diesen Romanen nur ihre Vergangenheit bewältigen wollte, auch wenn diese Romane, die sie vor Ytterst i havet schrieb, für den Leser eindeutig literarisch sind und die erste Phase ihrer literarischen Aktivität ausmachen.

Erst Ytterst i havet aus dem Jahre 1950 betrachtete Ulla Isaksson als literarisches Werk, vermutlich, weil sie sich bei diesem Roman endgültig von der strikten Religion der Freikirche Immanuelskyrkan gelöst hatte und zu einer ergreifenderen Einstellung des Glaubens fand und auch erstmals mit den Konventionen des literarischen Schreibens bracht und einen eigenen Stil gefunden hatte.

Ihren Durchbruch als Schriftstellerin hat Ulla Isaksson mit ihrem Roman Kvinnohuset (Das Haus der Frauen) im Jahre 1952, einem Roman, der nicht nur ein Bestseller wurde, sondern auch nahezu unmittelbar verfilmt wurde, auch wenn die Zensur forderte eine homosexuelle Szene zu entfernen. Kvinnohuset ist eine Revolution der 50er Jahre, denn in einem Stockholmer Haus leben nur Frauen, die sich selbst versorgen und teilweise eine sehr freizügiges Leben führen und damit im Grunde eine Szene nach den 68 Jahren schildert, nur eben rund 20 Jahre früher.

Die Stärke von Ulla Isaksson ist dabei das Gefühlsleben der Frauen zu schildern, eine Eigenschaft, die man in allen ihren Büchern ab den 50er Jahren finden kann. Aus den anfangs religiösen Themen, zu denen auch ein Buch über die Hexenverfolgung in Dalarna gehört, greift Isaksson immer mehr zu zeitnahen Themen der Zwischenmenschlichkeit, die zeigen, dass das Alltagsleben gar nicht so alltäglich ist wenn man in die Seele des einzelnen Menschen sieht. Für Isaksson handelt es sich dabei vor allem um die Seele der Frau.

Neben ihren Romane schrieb Ulla Isaksson auch die Manuskripte für die Verfilmungen ihrer Bücher, wobei sie von Ingmar Bergman auch beauftragt wurde das Manuskript zu seinem Film Jungfrukällan zu schreiben. Bergman hatte bereits vorher ihr Buch Det vänliga, värdiga verfilmt und machte aus De två salige einen Fernsehfilm. Neben Bergman griffen auch Gunnel Lindblom und Vilgot Sjöman zu ihren Büchern und Manuskripten, da Isaksson so bildlich schrieb, dass ihre Handlungen auch immer einen guten Film versprachen, der das Gefühlleben der handelnden Personen aufdeckte.

Gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, Erik Hjalmar Linder, schrieb Ulla Isaksson Ende der 70er Jahre die vermutlich beste Biographie über Elin Wägner, die in zwei Bänden mit den Titeln Elin Wägner, amazon med två bröst und Elin Wägner, dotter av moder jord erschienen, da sich die Autorin hier in ihre Hauptfigur versetzt und dem Leser den Kampf der Frau für ihre Rechte von gefühlsmäßiger Seite schildert ohne jedoch die Fakten zu vernachlässigen.

Das letzte Buch von Ulla Isaksson erschien im Jahre 1994, ein Buch, das unter dem Titel Boken om E erschien und in Form eines Romans die Phase ihres Lebens beschreibt in der sie die Entwicklung von Alzheimer an ihrem Mann erlebt und dem Leser einen authentisches Bericht liefert, ein Erlebnis bei dem sich Isaksson immer wieder erneut die Frage stellt wann ihr Mann sie erkennt, in welchen Momenten er ihr ein Schauspiel bieten und wann er in einer Parallelwelt lebt in der er letztendlich ganz verschwinden wird.

Auch dieser letzte Roman Boken om E von Ulla Isaksson wird im Jahre 2001 verfilmt und kam ein Jahr nach dem Tode der Autorin ins Kino. Und auch für die Hauptdarstellerin des Filmes, Viveka Seldahl, wird es die letzte Rolle, denn diese stirbt kurz nach der Premiere von En sång för Martin, wie der Film genannt wird und im Folkets Hus in Hamburgsund Premiere hat, an Krebs.

Ulla Isaksson wurde 1978 der Ehrendoktor in Philosophie verliehen, 1995 erhielt sie den Selma Lagerlöf-Preis und 1999 den Sonderpreis der literarischen Gesellschaft De Nio. Heute ist Isaksson erstaunlicherweise mehr für ihre Manuskripte als für ihre Romane bekannt, wobei sie auf Grund ihrer Leistungen sowohl in die Literaturgeschichte als auch die Filmgeschichte Schwedens eingeht.

Copyright: Herbert Kårlin

22 april 2013

Georg Stiernhielm, der Vater der schwedischen Skalden

Georg Stiernhielm, geborener Göran Olofsson, wurde am 7. August 1598 als Sohn des Vogten und Bergmanns Olof Markvardsson und dessen Frau Karin Mattsdotter in Vika in Dalarna geboren und starb am 22. April 1672 im Alter von 73 Jahren in Stockholm. Stiernhielm war ab 1630 mit Cecilia Bure verheiratet.

Da Georg Stiernhielm einer langen Bergmannsdynastie entstammte und der Vater der oberste Richter Dalarnas wurde, wuchs Georg Stiernhielm in der gehobenen Gesellschaftsschicht auf und hatte in den ersten Jahren Privatlehrer, was natürlich auch bedeutete, dass er sich zwar bereits sehr früh in gehobenem Schwedisch, Latein und Deutsch ausdrücken konnte, jedoch die Sprache des Volkes in Dalarna nicht verstand. Dies ist umso bedeutender, da Stiernhielm Dalarna in einigen Gedichten als Ideal beschreibt, jedoch nur die herrschende Schicht der Region kannte.

Georg Stiernhielm, Herkules, Sällskapet Bokvännerna, Titel: Sven Ljungberg

Im Jahre 1612 begann Georg Stiernhielm seine Studien in Uppsala, wo er jedoch nur eine Jahr lang blieb bevor er nach Wittenberg und Greifswald ging, an Universitäten, die damals als sehr bedeutend und fortschrittlich angesehen wurden. Nach seiner Rückkehr nach Schweden wurde Stiernhielm erst Lektor für Ethik und Politik in Västerås, kurz darauf jedoch, ebenfalls als Lehrer, für zwei Jahre an eine Privatschule für Adelige geladen.

Durch seine hohes Wissen hatte Georg Stiernhielm im Grunde eine ausgezeichnete wissenschaftliche und politische Karriere vor sich, denn 1648 war er Vizepräsident des Dorpats Landesgerichts in Livland und wenig später wurde er als Reichsantiquar nach Stockholm gerufen. Da Stiernhielm jedoch die Verflechtungen am Hof zu schlecht kannte, äußerte er sich öffentlich negativ über einen Günstling der Königin und fiel deswegen am Hof in Ungnade. Dem Skalden sollte es daraufhin nicht mehr gelingen seinen Ruf vollständig zurückzugewinnen und er litt daher bis zu seinem Lebensende unter finanziellen Schwierigkeiten.

Auch wenn sich Georg Stiernhielm, wie jeder Gelehrte dieser Zeit, sehr früh der Dichtkunst  zuwendete und dabei sehr lange Zeit zur lateinischen Sprache griff, war die erste Hälfte seines Lebens vor allem wissenschaftlichen Arbeiten und entsprechenden Veröffentlichungen gewidmet, auch wenn kaum eines der Werke von ihm auch wirklich zu Ende geführt wurde und, wie Erik Gustaf Geijer es ausdrückte, alle wichtigen Themen der Zeit nur einleitete.

Und in der Tat gelang es Georg Stiernhielm mehrere bedeutende wissenschaftliche Themen anzureißen und damit selbst der Wissenschaft Schwedens neue Wege zu weisen, denn Stiernhielm führte die Mathematik an den schwedischen Universitäten ein, eine Lehre, deren Bekanntschaft er in ausländischen Universitäten erworben hatte. Der Dichter und Wissenschaftler war der erste, der die Västgötalagen mit Erklärungen versah und damit der Rechtssprechung ein wichtiges Hilfsmittel bot und Stiernhielm war der erste Schwede, der sich ausführlich mit der vergleichenden Sprachwissenschaft beschäftigte, auch wenn er der Meinung war, dass das Gotische das älteste Schwedisch war und das „Urschwedisch“ jene Sprache aus der sich alle Sprachen der Welt entwickelten. Mehrere seiner wissenschaftlichen Werke erschienen erst nach seinem Tode und seine gesammelten Werke wurden sogar erst 1970 im Svenska Vitterhetssamfundet aufgelegt.

Der erste Gedichtband von Georg Stiernhielm erschien erst im Jahre 1668 unter dem Titel Musæ Suethizantes, als der Skalde und Wissenschaftler bereits 70 Jahre alt war. Diese Sammlung enthielt auch seine frühen Werke wie das Hüllungsgedicht an Königin Christina, der der Skalde noch in Latein verfasst hatte, da er erst ab 1643 dazu überging die schwedische Sprache bei seinen Gedichten anzuwenden.

Obwohl die Gedichte von Georg Stiernhielm nach Meinung der aktuellen Literaturwissenschaftler, nie die Bedeutung anderer Lyriker der Zeit erreichten, so gilt der Skalde innerhalb der schwedischen Literaturgeschichte dennoch als Erneuerer der Dichtkunst und der schwedischen Sprache, da er, unter anderem, nicht mehr ausschließlich die klassische und „edle“ Versform benutzte, sondern auch zu Alexandrinern und zur Sonette griff und zudem vom Lateinischen auf das Schwedische überging.

Bei seiner Lyrik in lateinischer Sprache war Georg Stiernhielm ein Meister der Anagramme. In nur 17 Zeilen in Hexameter gelang es dem Skalden insgesamt 42 Anagramme zum lateinischen Wort veritas (Wahrheit) unterzubringen, was zeigt, dass Stiernhielm die Sprache meistern wollte und dies als wichtiger betrachtete als die klaren Regeln der damaligen Dichtkunst. Stiernhielm spielte mit der Sprache, was ihn innerhalb der schwedischen Dichtkunst in eine Randposition versetzte.

Auch wenn Georg Stiernhielm nicht der erste war, der bei der Dichtkunst zu Schwedisch griff und seine Leistungen als Skalde noch heute in manchen Punkten angezweifelt werden, so nannte ihn bereits Olof Wexionius den Vater der schwedischen Poesie, einen Titel, den später Per Daniel Amadeus Atterbom bestätigte. Diesen Titel erhielt der Skalde dafür, dass er der erste schwedische Autor war, dem der Klang eines Gedichtes wichtiger war als ein bestimmtes Versmaß und er daher der Dichtkunst eine Melodie und einen Rhythmus gab, die bis dahin in Schweden unbekannt waren.

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Messetermine in Göteborg

21 april 2013

Wilhelmina Ståhlberg und der historische Roman Schwedens

Wilhelmina Ståhlberg wurde am 26. November 1803 von unbekannten Eltern, die das Mädchen nach der Geburt zur Adoption freigaben, in Stockholm geboren und starb am 23. Juli 1872 in Mariefred. Ihren Familiennamen übernahm die Schriftstellerin von ihrem Adoptivvater, einem Feldschreiber und dessen Frau. Ståhlberg war nie verheiratet.

In der Familie Ståhlberg wuchs die spätere Schriftstellerin wie eine Tochter auf und kam sehr früh zur Literatur. Bereits mit 16 wurden ihre ersten Gedichte in der Stockholmstidningen gedruckt, Gedichte, die sie jedoch nur mit ihrem Vornamen Wilhelmina unterzeichnete. Die erste etwas längere literarische Arbeit von Wilhelmina Ståhlberg erschien dann im Jahre 1826, als sie das kleinere lyrische Werk Min ungdoms idealer veröffentlichte und der Erlös aus dem Verkauf einer verarmten Familie spendete. In den Folgejahren erschienen dann mehrere kleinere Gedichtsammlungen, wobei ihre Gedichtsammlung Lyriska Toner aus dem Jahre 1843 auch ein Vorwort von Frans Michael Franzén erhielt, der ihre Arbeit hoch schätzte.

Wilhelmina Ståhlberg, Holzstich eines unbekannten Künstlers

Als der Ziehvater Wilhelmina Ståhlbergs im Jahre 1829 starb, mussten sich die beiden Frauen selbst versorgen, was dazu führte, dass die Schriftstellerin sich mit dem Haushalt beschäftigen musste und von ihrer Ziehmutter handwerkliche Aktivitäten lernte. Die schriftstellerischen Aktivitäten mussten vorübergehend etwas zur Seite gestellt werden, zumal die beiden in der Wohnung auch arme Kinder aufgenommen wurden um ihnen eine gewisse Erziehung und Bildung zu bieten.

Als im Jahre 1846 auch noch die Ziehmutter von Wilhelmina Ståhlberg starb, lebte die Schriftstellerin allein in Stockholm, arbeitete intensiv an ihrer literarischen Karriere und verkehrte überwiegend in den literarischen Kreisen Stockholms, wobei sie hierbei die Konkurrenz der zahlreichen Literaten der Hauptstadt spürte, die alle ihre Werke Lars Johan Hierta und Albert Bonnier anbieten wollten, denjenigen, die in der Regel über die Zukunft eines Autors entschieden.

Man muss bei Wilhelmina Ståhlberg, die während ihres Lebens etwa 80 eigene Bücher veröffentlichte, zahlreiche Übersetzungen lieferte und für Zeitungen und Zeitschriften das schrieb, was der jeweilige Herausgeber forderte, zwischen literarischen Werken und Auftragsarbeit unterschieden, denn im Gegensatz zu ihren eigenen Werken, war sie nicht immer stolz über Übersetzungen aus dem Deutschen und Französischen für die sie oft wenig Zeit aufwendete und einige ihrer Novellen für die Presse nannte sie gegen Ende ihres Lebens sogar selbst „Schund“.

Auch wenn Wilhelmina Ståhlberg bisweilen Gedichte veröffentlichte und Kinderbücher publizierte, so war ihre Stärke der Geschichtsroman. Ihre Bücher über Charlotta Nordenflycht, Königin Christina von Schweden, Lasse Lucidor, Gustav III. und andere bedeutende Personen der schwedischen Geschichte fanden ein bedeutendes Publikum, wobei die Schriftstellerin es auch erreichte bei sehr vielen Schweden das Interesse für Geschichte zu wecken, da Ståhlberg es verstand in ihren Büchern eine gewisse Spannung unterzubringen und dabei gleichzeitig auf jede wissenschaftliche Sprache verzichtete.

Um Wilhelmina Ståhlberg zu verstehen muss man nicht nur bedenken, dass sie sich selbst versorgen musste, was für eine alleinstehende Frau in dieser Zeit mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden war, denn in der Regel bedeute dies zum Lehrerberuf greifen zu müssen, da selbst die Literatur und der Journalismus nur in wenigen Fällen Frauen ermöglichte davon zu leben. Ståhlberg gehörte ab den 40er Jahren zu jener „ausgewählten“ Schicht, die sich durch ihre außergewöhnliche Leistung in diesem Bereich behaupten konnte, die aber auch mehr oder weniger zwangsweise dazu bereit sein musste auf Wünsche der Verleger einzugehen. Ståhlberg schrieb daher auch über Mode, Handarbeit und verfasste unzählige kürzere Texte für Kalender und Anthologien. Diese Offenheit hatte natürlich auch ihre Vorteile, denn durch die Übersetzung eines Häkelbuches, das in Schweden unter dem Titel Ny virkbok erschien, führte die Schriftstellerin diese Handarbeitstechnik in Schweden ein.

Dass sich Wilhelmina Ståhlberg vor allem für die Geschichte der Frauen Schwedens interessierte und eine gewisse Rolle innerhalb der schwedischen Frauenbewegung spielte, zeigt sich nicht nur in der Auswahl der historischen Themen, in denen Frauen eine bedeutende Rolle spielen, sondern auch dadurch, dass sich die Autorin in die Debatte um Carl Jonas Love Almqvists Det går an aus dem Jahre 1939 einmischte und ihn zwar bei seiner Meinung zur Ehe unterstützt, seine Meinung jedoch als Liebesutopie bezeichnet, die die Situation der schwedischen Frau jener Zeit nur noch erschweren konnte und damit ihre freie Entwicklung noch mehr begrenzt.

Obwohl Wilhelmina Ståhlberg vermutlich die produktivste Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts war und vor allem ihre Geschichtsromane geradezu Bestseller jener Zeit waren, und nicht zu vergessen ist, dass sie durch das Schreiben und Übersetzen von über 50 Kinderbüchern auch dem Kinderbuch Schwedens eine neue Richtung gab, so nahm man ihr immer wieder übel, dass sie neben Literatur auch Schnellprodukte lieferte. Wie nahezu allen schreibenden Frauen des 18. und 19. Jahrhunderts, so wurde sie von Literaturwissenschaftlern immer in eine Nische der schwedischen Literaturgeschichte gedrängt aus der man nur sehr schwer wieder entkommen kann, da auch moderne Autoren selten eine Grundlagenforschung betreiben, sondern auf die Lehrmeinung der früheren Jahrzehnte und Jahrhunderte zurückgreift.

Copyright: Herbert Kårlin

20 april 2013

Dagmar Edqvist und die selbständige Frau des 20. Jahrhunderts

Dagmar Edqvist (offiziell Edquist), geborene Jansson, wurde am 20. April 1903 als Tochter des Lektors Hjalmar Jansson und dessen Frau Hermanna Krokstedt in Visby auf Gotland geboren und starb am 21. Januar 2000 im Alter von 96 Jahren in Luleå. Edqvist war ab 1923 mit dem Beamten Torgny Edqvist verheiratet.

Die Schriftstellerin Dagmar Edqvist wuchs in einem bürgerlichen Haus in Visby auf, wobei der Vater auch im Stadtrat saß und andere öffentlichen Aufgaben übernommen hatte. Edqvist wurde jedoch im freien Geiste erzogen ohne religiösen Druck und mit dem Gedanken nicht fremde Meinungen einfach zu übernehmen, sondern die Wahrheit zu suchen. Dieses Gefühl vermittelt sie Autorin auch in ihren Büchern, die teilweise selbst auf Gotland handeln.

Dagmar Edqvist, Den svarta systern, Albert Bonniers Förlag, Titel: Svenolov Ehrén

Im Jahre 1922 legte Dagmar Edqvist in Visby die Hochschulreife ab und ein Jahr später heiratete sie den damaligen Lehrer Torgny Edqvist. Womit sich die Schriftstellerin zwischen 1922 und 1927 beschäftigte, ist eine Lücke, denn erst 1927 schreibt sie sich an der Universität im französischen Dijon ein und nach ihrer Rückkehr aus Frankreich wird sie Sekretärin eines Chefarztes im Sankt Olofs Krankenhaus in Visby.

Literarisch trat Dagmar Edqvist erstmals im Jahre 1932 an die Öffentlichkeit und lieferte mit ihrem Roman Kamrathustru (Frau und Kamerad) ein Buch, das vom ersten Tag an stark diskutiert wurde, da die Schriftstellerin in ihrem Werk nicht nur sehr persönlich über zwischenmenschliche Probleme schrieb, sondern ihre Hauptfigur auch noch eine selbstständige, moderne Frau war, die wusste was sie will und sich nicht der Männergesellschaft unterordnete. Der Roman Kamrathustru wurde, nachdem er 1941 unter dem Titel Livet går vidare verfilmt worden war, in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem ins Deutsche und Französische.

Diese moderne und kultivierte Frau der Mittelklasse in den Romanen Edqvists gehört zu den Leitlinien, die man auch in den späteren Büchern von Dagmar Edqvist findet, ohne dass die Autorin sich jedoch der Frauenbewegung anschließt, da sie der Meinung ist, dass sich jede Frau selbst befreien kann und muss.

Nach einem weiteren Roman und einem Theaterstück in drei Akten legte Dagmar Edqvist im Jahre 1937 erneut einen Roman vor, der bedeutendes Aufsehen erregt und auf eine tatsächliche Geschichte aufbaute. In Fallet Ingegerd Bremssen wird die Hauptfigur vergewaltigt, wobei der Leser die Fortsetzung aus psychologischer Sicht verfolgt, denn Ingegerd Bremssen kann ihre Erziehung mit allen Konsequenzen nicht zur Seite schieben und fühlt sich entehrt, ihr Leben ist zerstört. Sie löst ihre Verlobung auf, verlässt den Ort und tötet letztendlich den Vergewaltiger.

In der Tat hat Dagmar Edqvist nie ein Buch veröffentlicht, das der reinen Unterhaltung dienen sollte, denn sie suchte immer ein gesellschaftliches Problem, das sie zur Diskussion stellen wollte. Diese Einstellung findet man auch in ihren historischen Büchern, die das Gotland der Wikingerzeit schildern und auch in ihren Romanen, die in Afrika spielen, einem Kontinent in dem sie selbst mehrere Jahre verbrachte.

Bei den Afrika-Romanen von Dagmar Edqvist tritt jedoch nicht die Frau als solches in den Vordergrund, sondern Edqvist stellt hier die westliche und die afrikanische Kultur gegenüber, die sich in vielen Punkten unterschieden und sie will dabei gegen die Einstellung angehen, die afrikanische Kultur unseren Bedingungen anpassen zu wollen, eine Einstellung, die um diese Zeit üblich war.

Dagmar Edquist zeichnete sich auch dadurch aus, dass Milieuschilderungen eine wichtige Rolle in ihren Büchern einnahmen, da das Milieu die Einstellung und die Denkweise jedes Menschen beeinflusst. Vermutlich wollte die Autorin dadurch auch zum Nachdenken anregen und dem Leser zeigen, dass es nicht eine Betrachtungsweise des Lebens gibt, sondern verschiedene, die man alle akzeptieren und tolerieren muss. In diesem Rahmen muss man auch sehen, dass Edqvist überzeugte Pazifistin war und gegen jede Art von Rassismus anging.

Mehrere Bücher von Dagmar Edquist wurden verfilmt, wobei die Schriftstellerin in den meisten Fällen das Drehbuch zu ihren Büchern selbst schrieb und damit die Möglichkeit hatte alle Kernpunkte ihrer Werke im Filmgeschehen zu übernehmen.

Obwohl Dagmar Edqvist über 20 Bücher schrieb, die einen bedeutenden Einfluss auf das schwedische Denken hatten, in mehrere Sprachen übersetzt wurden und sie auch eine wichtige Rolle in der Frauenbewegung einnahm, da sie die Frau bereits ab den 30er Jahren dem Mann gleichsetzte, ist die Schriftstellerin heute fast vergessen, da sie nicht in literarischen Kreisen verkehrte und ihre Themen zu viele Menschen berührten um mit Preisen überhäuft zu werden. Nachdem sich Edqvist auch nie in den Vordergrund drängte, wird sie innerhalb der schwedischen Literaturgeschichte meistens nur kurz erwähnt und ihre Leistung innerhalb des Literaturgeschehens nur selten hervorgehoben.

Copyright: Herbert Kårlin

19 april 2013

Sigfrid Lindström und die moderne Welt der Sagen

Sigfrid Lindström wurde am 19. April 1892 als Sohn des Kaplans Peter Lindström und dessen Frau Anna Aquilina Wickelgren in Lidhult geboren und starb am 1. Mai 1950 im Alter von 58 Jahren in Lund. Lindström war nie verheiratet.

Der junge Sigfrid Lindström wuchs in einer damals angesehenen Priesterschicht auf in der der humanistische Geist lebte. Noch während seiner Schulzeit am Gymnasium in Halmstad schloss sich Lindström der literarischen Vereinigung Concordia an und wirkte regelmäßig in der gleichnamigen Zeitschrift mit. Erhalten ist aus dieser Zeit ein Vortrag, den Lindström über Gustaf Fröding hielt, den er für den größten Dichter Schwedens hielt und seine Prosasage Den möderne Judas, die er später überarbeitete und in seinem Werk Vindsröjning enthalten ist.

Sigfrid Lindström, Sagor på vers och prosa, Hugo Gebers Förlag

Nach seiner Hochschulreife im Jahre 1911 in Halmstad, ging Sigfrid Lindström nach Lund und begann an der dortigen Universität Literaturgeschichte, nordische Sprachen, Philosophie, Pädagogik, Englisch und Französisch zu studieren. Da ein Teil seines Studiums mit dem Ersten Weltkrieg zusammenfiel, schloss er es erst im Jahre 1918 mit einem Magister ab. In den „Studienpausen“ schrieb er Lieder für Revuen und, gemeinsam mit Alf Ahlberg, das Theaterstück Näktergalarna i Wittenberg. Seinen Vornamen Sigfrid tauschte der Schriftsteller ab 1912 gegen „Tristan“ aus. Seine Werke erschienen daher um diese Zeit unter dem Namen Tristan Lindström.

Nach seinem Studium wollte Sigfrid Lindström ursprünglich die Laufbahn eines Lehrers ergreifen, aber nachdem bereits sein Praktikum ein Desaster war, entschied er sich Journalist und Schriftsteller zu werden. Ab 1920 bekam Lindström eine eigene Spalte in der neu gegründeten Studentenzeitschrift Lundagård, wobei er dabei gleichzeitig die Bekanntschaft von Frans G. Bengtsson, Hjalmar Gullberg, Ingvar Andersson und Ivar Harrie machte.

Im gleichen Jahr erhielt Sigfrid Lindström zusätzlich einen Vertrag beim Lunds dagblad, allerdings als nächtlicher Korrekturleser, der nur hin und wieder auch literarische Kritiken und kulturelle Artikel schreiben durfte. Sehr bald verstand Lindström jedoch, dass er nicht für die journalistische Laufbahn geeignet war. 1925 verließ er daher die Zeitung und gleichzeitig auch Lund.

Als Schriftsteller trat Sigfrid Lindström erstmals im Jahre 1922 mit seinem Werk Sagor och meditationer an die Öffentlichkeit, das jedoch kaum Beachtung fand, obwohl Lindström bereits hier seine Stärke zeigte, nämlich die alte Sagenwelt neu aufzunehmen und in eine neue eigene Geschichte zu verwandeln, die Sagen auszuarbeiten und zu modernisieren.

Erst 1927 erschien dann ein weiteres Werk von Sigfrid Lindström. Diese Mal handelte es sich um Gedichte, die der Autor bereits ab 1916 geschrieben hatte und unter dem Titel De besegrade erschien. Bei diesem Werk verband Lindström die Sagenwelt und führte den Antihelden ein. Man spürt bei der Lektüre, dass sich der Autor der Generationen der Verlierer angehörig fühlt, denen, nicht zuletzt durch den Weltkrieg, die Zukunft genommen wurde und die ohne Hoffnung leben muss. Dieses Buch wurde von Kritikern und Lesern extrem positiv aufgenommen und führte dazu, dass Lindström als Literat anerkannt war.

In den Folgejahren schrieb Sigfrid Lindström sehr wenig und selbst wenn man die Bücher, die nach seinem Tod noch veröffentlicht wurden, hinzuzählt, so kommt man auf knapp zehn Werke, was für einen anerkannten Schriftsteller sehr wenig ist, zumal der Umfang der Bücher ebenfalls sehr bescheiden ist.

Sigfrid Lindström, der sich durch eine außerordentliche Phantasie und eine ausgewählte Wortwahl auszeichnete, hinterließ, neben seinen offiziellen Werken, ein detailreiches Tagebuch und zahlreiche Briefe in denen man sein Schaffen verfolgen kann, denn Lindström ist einer der letzten schwedischen Autoren bei denen selbst Briefe noch Literatur sind in denen er Sagen skizzierte und eine literarische Sprache benutzte.

Auch wenn Sigfrid Lindström sehr wenige eigene Bücher veröffentlichte, so war die Literatur dennoch sein Leben, da er vor allem Werke von Albert Camus, Gérard de Nerval und D. H. Lawrence ins Schwedische übersetzte und dabei eine Mischung aus Übersetzung und eigenem Werk schuf, da er versuchte die Ursprungswerke dem schwedischen Publikum wirklich zugänglich zu machen, ohne jedoch das Gefühl und den Geist des Ursprungswerkes zu zerstören.

Auch wenn Sigfrid Lindström innerhalb der schwedischen Literaturgeschichte nahezu als Klassiker der Literatur betrachtet wird, ist der Schriftsteller mittlerweile fast schon vergessen, nicht zuletzt auch deswegen weil die ausgewählte Sprache des Autors heute als hochtrabend betrachtet wird und die Welt der Sagen immer mehr in die Vergessenheit gerät.

Copyright: Herbert Kårlin

18 april 2013

Thomas Thorild, der revolutionäre Schriftsteller des 18. Jahrhunderts

Thomas Thorild wurde am 18. April 1759 als Sohn des juristischen Beamten Jöns Olsson und dessen Frau Börta Thomasdotter in Sverteborg im westschwedischen Bohuslän geboren und starb am 1. Oktober 1808 im deutschen Greifswald, nachdem er erst in Schweden und anschließend auch in Dänemark des Landes verwiesen worden war.

Da die Eltern von Thomas Thorild bereits 1761 starben, verbrachte Thorild seine Kindheit erst bei den Großeltern mütterlicherseits und anschließend bei seinem älteren Bruder in Kungälv. In der Schule in Kungälv zeigte Thorild eine so hohe Begabung, dass der Rektor auf ihn aufmerksam wurde, der wiederum der Bruder eines Direktors der Göteborger Ostindiengesellschaft war. Dieser nahm sich des begabten Schülers an und wurde über Jahre hinweg sein Gönner.

Thomas Thorild, Att följa ögonblicken, Bokförlaget Atlantis, Svenska klassiker der Svenska Akademien

Bereits im Gymnasium in Göteborg hatte die hohe Begabung von Thomas Thorild allerdings bereits auch den Nachteil, dass sich der Schüler für ein Genie hielt, eine Eigenschaft, die er sein Leben lang behalten sollte und dazu führte, dass Thorild immer glaubte anderen im Denken einen Schritt im Voraus zu sein und immer recht zu haben.

Im Jahre 1775 begann Thomas Thorild sein Studium an der Universität Lund, das er jedoch bereits nach einem Jahr abbrach um vorübergehend Privatlehrer auf dem Gut Rånnum zu werden. Als Thorild dann 1777 nach Lund zurückkehrt, bewies er mit seiner Rede Det ädla och sköna i vetenskapen seine immensen Kenntnisse in Philosophie, die insbesondere an die Denkweise von Jean-Jacques Rousseau und später auch Spinoza erinnern. In dieser Zeit begann auch seine Freundschaft mit Bengt Lidner und er wurde, ohne dort je ein Examen abzulegen, eine Art Legende zu der die Mehrheit der Studenten aufblickten.

Im Februar 1781 kam Thomas Thorild in Stockholm an, wo er sich an der Universität anfangs vor allem philosophischen Studien widmete, parallel dazu jedoch auch seine ersten Schritte als Skalde machte. Als die literarische Gesellschaft Utile Dulci einen Poesiewettbewerb ausschrieb, beteiligte sich Thorild mit zwei Gedichten, nämlich mit Passionerna und mit Ode till jurdbrukaren.

Da Thomas Thorild sich jedoch seine Einflüsse nicht bei nordischen Dichtern suchte, sondern sich von Edward Young, Friedrich Gottlieb Klopstock, Charles-Louis de Secondat Montesquieu, Jean-Jacques Rousseau und anderen beeinflussen ließ, erhielt er für Passionerna nur einen Ehrenpreis ohne Bedeutung, jedoch begleitet von einer Argumentation Johan Henric Kellgrens, der nicht nur das Gedicht abwertete, sondern auch schrieb, dass Neuerungen in der schwedischen Dichtkunst überflüssig seien und sein Gedicht daher nicht im schwedischen Geist geschrieben sei.

Die Folge war ein jahrelanger öffentlicher Streit zwischen Thomas Thorild und Johan Henric Kellgren, der sogar dazu führte, dass Thorild 1784 die Zeitschrift Den nya granskaren gründete in der er nicht nur den freien Vers verteidigte, sondern alle seinen modernen Ansichten verbreitete, die zu einer Weltreform führen sollten und Gedanken enthielt, die sich erst im 20. Jahrhundert realisierten. Eine der wichtigsten Reformen, die Thorild vorschlug, war die Freiheit des Wortes ohne jede Zensur, eine Utopie im auslaufenden 18. Jahrhundert.

Enttäuscht von Schweden ging Thomas Thorild im Jahre 1789 nach England, in der festen Überzeugung, dass man dort seinen Gedanken und Plänen offener gegenüberstehen würde, aber sehr schnell musste der Schriftsteller feststellen, dass er dort kaum etwas erreichen konnte und auch seine englischen Werke The Sermon of Sermons und True Heavenly Religion Restores, das von den Ideen Emanuel Swedenborgs beeinflusst war, halfen ihm nicht dabei dort anerkannt zu werden. Dies veranlasste ihn schließlich nach 18 Monaten wieder nach Schweden zurückzukehren.

Durch seine Abwesenheit war Kellgrens Macht in Stockholm gestiegen und Thomas Thorild gelang es kaum einen Fuß in der literarischen Welt Schwedens zu fassen, da die Stockholms-Posten, deren Mitgründer Kellgren war, mittlerweile volle Arbeit gegen Thorild geleistet hatte.

Mit En critik öfver critiker. Med utkast till en lagstiftning i snillets värld enstand im Jahre 1791 das Hauptwerk von Thomas Thorild, der sich hier nicht nur als ein Meister des Stils zeigt, neben seiner persönlichen Überschätzung, sondern auch als erbitterter Feind Kellgrens. Noch bevor jedoch der neu entstandene Streit zwischen Thorild und Kellgren ausgefochten war, veröffentlichte der Schriftsteller Det enda nötvändiga för et rikes financer, was zu einem weiteren Streit, dieses Mal mit Carl Gustaf af Leopold, führte, der sehr gut antworten konnte, was die Stellung Thorilds weiterhin schwächte.

Der Untergang wurde für Thomas Thorild dann jedoch sein Werk Om det allmänna förståndets frihet, das er an den König und den Adel richtete. In diesem Werk forderte der Schriftsteller nicht nur die absolute Pressefreiheit, sondern er forderte Herzog Karl auch auf im Interesse des Reiches die vier Stände abzuschaffen. Nun wurde Thorild als gefährlicher Revolutionär betrachtet, der das Volk zu einer Revolution im Stile der französischen Revolution führen könne. Die Schrift wurde unmittelbar beschlagnahmt und der Autor wurde für vier Jahre des Landes verwiesen.

Thomas Thorild verbrachte einen Teil des Jahres 1793 in Kopenhagen und schrieb dort das für die Zeit erneut revolutionäre Werk Om Qvinnokönets naturliga höghet und forderte bereits 100 Jahre bevor die Frauenbewegung in Schweden wirklich einsetzte, dass Frauen ein Recht auf eine freie Entwicklung haben müssen und als vollwertige Staatsbürger anerkannt werden müssen, da die Männer als Barbaren die Welt zerstört hätten und nur Frauen wieder einen Ausgleich bringen könnten. Da Thorild auch noch gleichzeitig forderte, dass für eine Verbindung zwischen Mann und Frau die Liebe entscheiden solle und das Werk auch noch gleichzeitig in Dänisch erschien, wurde Thorild auch aus Dänemark ausgewiesen.

Der nächste Aufenthaltsort Thomas Thorilds wurde dann Greifswald, wo er zum Universitätsbibliothekar mit Professortitel ernannt wurde. Dort veröffentlichte Thorild auch sein letztes Werk Handbok för omtänksamma hushåld i diäten, das jedoch kaum Aufsehen erregte.

Thomas Thorild war ein literarischer Revolutionär, der nur das Problem hatte sich selbst zu wichtig zu nehmen und daran glaubte, dass er mit seinen Schriften die Welt in kürzester Zeit verändern könne. Auch wenn viele seiner Visionen sich viel später als sinnvoll und richtig zeigten, so sah er sich als einen Messias und glaubte über dem Staatssystem zu stehen. Auch wenn seine Werke heute kaum noch revolutionär sind und sein Stil von einer Überheblichkeit zeugt, gehört er mit zu den weitsichtigsten Schriftstellern des 18. Jahrhunderts, der jedoch ein Jahrhundert zu früh geboren wurde.

Copyright: Herbert Kårlin